Hans-Oskar Jülicher
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Erbrecht, Testamentsvollstrecker, vereidigter Buchprüfer

Telefon: 02452 976090

Fachanwalt für Erbrecht und Familienrecht in Heinsberg
17.7.2019

Grundsätzlich keine Verwirkung bei Pflichtteilsanspruch

Das Oberlandesgericht Nürnberg (12 U 1668/17) erließ zu diesem Thema schon am 04.01.2018 einen interessanten Hinweisbeschluss.

Folgender Sachverhalt liegt dieser Entscheidung zugrunde:

Der verheiratete S verstarb im Mai 2016. Seine Alleinerbin war seine Witwe. Durch seine letztwillige Verfügung hatte S seinen Vater von der Erbfolge ausgeschlossen. Eine Entziehung des Pflichtteils erfolgte im Testament explizit nicht. Nun machte der Vater seinen Pflichtteilsanspruch gegenüber der Alleinerbin geltend. Der Vater hatte seinen Sohn in seiner Kindheit geschlagen, gedemütigt, beleidigt und misshandelt. Er hatte ihn wohl mit 14 Jahren von zu Hause fortgetrieben, ihn mit bedingtem Tötungsvorsatz mit einem Schraubenzieher angegriffen und keinen Unterhalt gezahlt. Die Alleinerbin verweigerte daher die Auskunft über den Nachlass und die Zahlung des Pflichtteils. Sie war der Meinung, der Vater hätte aufgrund seines Verhaltens gegenüber seinem Sohn in dessen Kindheit seinen Pflichtteilsanspruch verwirkt.

Dagegen wandte sich der Vater mit seiner Klage – mit Erfolg.

Der Erbrechtsexperte Rechtsanwalt und Fachanwalt für Erbrecht Klaus Becker erklärt:

Pflichtteilsanspruch

Ein Pflichtteilsanspruch steht dem Beklagten als Elternteil grundsätzlich nach dem Tod des Kindes zu, wenn der oder die Verstorbene selbst keine Kinder hatte. Auf den Pflichtteil kann verzichtet werden. Hierfür ist eine notarielle Beurkundung notwendig. Der Pflichtteil muss vom Berechtigten gegenüber den Erben geltend gemacht werden, anderenfalls verjährt er. Die Verjährungsfrist beträgt 3 Jahre. Sie beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der/die Berechtigte von dem Anspruch Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen (§§ 195,199 Abs. 1 BGB). Der Pflichtteil kann nicht dadurch umgangen werden, dass der/die Erblasser/in kurz vor seinem/ihrem Tod sein/ihr Vermögen verschenkt, da aus Schenkungen innerhalb von 10 Jahren vor dem Tode ein Pflichtteilsergänzungsanspruch resultiert. Bei Ehegatten werden Schenkungen ohne zeitliche Grenze für den Pflichtteilsergänzungsanspruch berücksichtigt.

Pflichtteilsentziehung

Aus den von der Beklagten vorgetragenen Gründen wäre dem Erblasser eine Entziehung des Pflichtteils möglich gewesen. Die Pflichtteilsentziehung ist nur unter den sehr engen Voraussetzungen des § 2333 BGB möglich. Konkret kann der Pflichtteil nur entzogen werden, wenn ein besonderer Entziehungsgrund vorliegt. Dazu enthält § 2333 BGB eine abschließende Aufzählung:

  • Der Pflichtteilsberechtigte trachtet dem Erblasser, dem Ehegatten des Erblassers, einem anderen Abkömmling oder einer dem Erblasser ähnlich nahestehenden Person nach dem Leben.

  • Der Pflichtteilsberechtigte macht sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen den Erblasser, den Ehegatten des Erblassers, einen anderen Abkömmling oder einer dem Erblasser ähnlich nahestehenden Person schuldig.

  • Der Pflichtteilsberechtigte verletzt böswillig eine dem Erblasser gegenüber gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht.

  • Der Pflichtteilsberechtigte wird wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt und die Teilhabe des Pflichtteilsberechtigten am Nachlass ist deshalb für den Erblasser unzumutbar. Gleiches gilt, wenn die Unterbringung des Abkömmlings in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt wegen einer ähnlich schwerwiegenden vorsätzlichen Tat rechtskräftig angeordnet wird.

Das bloße Vorliegen eines solchen Grundes genügt allerdings nicht. Es ist vielmehr erforderlich, dass der Erblasser sich formgerecht durch Letztwillige Verfügung erklärt (§ 2336 BGB). Daran fehlte es vorliegend.

Pflichtteilsunwürdigkeit

Pflichtteilsunwürdig ist gem. § 2345 Abs. 2 BGB, wer erbunwürdig ist. Erbunwürdig wird, wer

  • den Erblasser vorsätzlich tötet oder zu töten versucht,

  • den Erblasser in einen Zustand versetzt hat, der ihm das Errichten einer Verfügung von Todes wegen oder deren Änderung oder Widerruf unmöglich machte,

  • vorsätzlich und widerrechtlich verhindert hat oder den Erblasser durch arglistige Täuschung oder Drohung dazu bestimmt hat, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder aufzuheben,

  • sich in Bezug auf eine Verfügung von Todes wegen des Erblassers wegen Urkundenfälschung, mittelbare Falschbeurkundung oder Urkundenvernichtung strafbar gemacht hat.

Insofern gibt § 2339 BGB eine abschließende Aufzählung vor. Im Unterschied zur Pflichtteilsentziehung, die der Erblasser selbst verfügen muss, kann die Pflichtteilsunwürdigkeit durch den Erben selbst gegenüber dem Anspruchsteller gem. §§ 2345, 2341,143 BGB erklärt werden. Das Mittel der Wahl ist Anfechtung.

Nach dem Vortrag der Alleinerbin hätte vorliegend allenfalls der vorgetragene Tötungsversuch mit dem Schraubenzieher einen Pflichtteilsunwürdigkeitsgrund darstellen können. Die Alleinerbin hat ihren diesbezüglichen Vortrag aber nicht ausreichend dargelegt und bewiesen. Insofern hatte das Gericht diesen Aspekt nicht weiter zu berücksichtigen.

Pflichtteilsverwirkung

Schließlich hatte das Gericht zu prüfen, ob eine Verwirkung des Pflichtteilsanspruchs in Betracht kam. Von Verwirkung spricht man dann, wenn die Geltendmachung eines Anspruchs gegen Treu und Glauben verstößt. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von unzulässiger Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens. Es liegt hier natürlich nahe zu sagen, dass der Vater seinen Pflichtteilsanspruch durch sein drastisches Verhalten in der Kindheit des Erblasser verspielt hat. Aber das Gericht kommt in seinem Beschluss zu einem anderen Ergebnis. Es ist mit guten Gründen der Ansicht, dass das verfassungsmäßig geschützte Pflichtteilsrecht nur im Rahmen einer Pflichtteilsentziehung oder Pflichtteilsunwürdigkeit entzogen werden kann. Die dort genannten Gründe und Formvorschriften seien abschließend. Es sei kein Grund ersichtlich, aus dem die vom Gesetzgeber getroffene Werteentscheidung umgangen oder eingeschränkt werden solle.

Tipp vom Fachanwalt für Erbrecht

Der Erbrechtsexperte Rechtsanwalt und Fachanwalt für Erbrecht Klaus Becker rät:

Der dargestellte Fall zeigt, dass es zur Vermeidung von Streitigkeiten wichtig ist, im Rahmen einer umfassenden Nachlassplanung an konkrete Verfügungen hinsichtlich einer Pflichtteilsentziehung zu denken. Auch nach dem Erbfall ist Hilfe möglich, wenn die Möglichkeit der Anfechtung besteht. Dazu bedarf es allerdings fachkundigen Rates.Hier bietet der Erbrechtsexperte Rechtsanwalt und Fachanwalt für Erbrecht Klaus Becker mit seinem Team in seiner Aachener Kanzlei wertvolle Unterstützung an.

Quelle: Netzwerk Deutscher Erbrechtsexperten e.V.

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